Die Ergebnisse der jüngsten IQB-Bildungsstudie seien „deutschlandweit alarmierend“, sagt Niedersachsens Kultusministerin Julia Hamburg (Grüne). Sie äußerte sich in einer Fragestunde im Landtag, die von der AfD-Fraktion beantragt worden war. Die im Oktober veröffentlichten Ergebnisse der Bildungsuntersuchung haben ergeben, dass ein Drittel der Neuntklässler die Bildungsstandards für den mittleren Schulabschluss nicht erreicht. Niedersachsens Schüler schneiden deutlich schlechter ab. Untersucht wurden die Fähigkeiten in Mathematik sowie den Naturwissenschaften und Informatik, den sogenannten MINT-Fächern. „Die Regelstandards werden seltener erreicht, die Mindeststandards häufiger verfehlt“, fasste Ministerin Hamburg die Ergebnisse in ihren eigenen Worten zusammen. Die Folge: Immer mehr Schüler verlassen die Schule, ohne ausreichend auf Ausbildung, Studium oder Beruf vorbereitet zu sein. Weil die Studie aber nur die Leistung messe, gebe sie keine Auskunft über die Ursachen. Hamburg liest aus den Ergebnissen jedoch ab, dass die soziale Herkunft oder der Migrationshintergrund keine Rolle spielten.

Als Problemgruppe identifiziert sie jedoch jene Kinder, für die ein Schulwechsel in die Corona-Zeit gefallen sei. Denen sei das Ankommen schwerer gefallen, erläuterte die Ministerin. Andere Untersuchungen hätten ergeben, dass das sogenannte Selbstkonzept bereits seit 2018 gesunken sei. Bildungsforscher verstehen unter diesem Begriff das Wissen über eigene persönliche Eigenschaften, Fähigkeiten, Vorlieben, Gefühle und Verhalten. Ist das Selbstkonzept geschwächt, sinke die Bereitschaft, Neues auszuprobieren. Hamburg erkennt darin eine wesentliche Ursache für die Schwäche in den MINT-Fächern. Belastend sei für die Schüler zudem die bedrohliche Weltlage sowie fehlende Begleitung durch die Elternhäuser, was durch die Schule nur bedingt aufgefangen werden könne. Darüber hinaus verweist die Ministerin auf den allgemeinen Lehrkräftemangel, der in den MINT-Fächern besonders stark ausgeprägt sei. Häufig würden die Fächer zusammengelegt oder fachfremd unterrichtet.
Als Reaktion auf die seit Jahren sinkenden Bildungsniveaus hat die Landesregierung bereits mehrere Maßnahmen ergriffen, die Hamburg aufzählte. Dazu gehören etwa die Stärkung der Basiskompetenzen und der sozioemotionalen Entwicklung, beginnend in der frühkindlichen Bildung, sowie verbesserte Fortbildungsprogramme für die Lehrkräfte. SPD-Bildungspolitikerin Karola Margraf betonte, das psychische Wohlbefinden der Kinder müsse oberste Priorität haben, und lobt eine entsprechende Online-Plattform sowie das Fortbildungprogramm für „mentale Ersthelfer“. Zudem lobte sie Angebote wie die Ideen-Expo und andere Maßnahmen, die auch bei Mädchen Begeisterung für MINT-Berufe wecken sollen. Pascal Mennen von den Grünen lobte das Handeln der Landesregierung, bestehend aus früher Förderung, einer Stärkung der Grundkompetenzen, einer Individualisierung und einer Stärkung der Persönlichkeit der Schüler.
Für Harm Rykena, Bildungspolitiker der AfD, reicht das nicht aus. Er nennt die Politik der Landesregierung eine „Kuschel- und Palaver-Pädagogik“ und bezeichnet die „massenhafte Zuwanderung“ als „Elefant im Raum“, über den aus Gründen der politischen Korrektheit nicht gesprochen werde. Weil die Kinder die Sprache nicht beherrschten, sinke das Bildungsniveau an den Schulen. Dass Niedersachsens Schüler schlechter abschnitten als die in Sachsen oder Bayern begründet Rykena damit, dass dort der Leistungsgedanke noch hochgehalten werde. Er fordert mehr MINT-Lehrer und weniger fachfremden Unterricht, zudem solle die Begeisterung für MINT-Fächer bereits in der Grundschule durch technischen Unterricht geweckt werden. Das Lernen im eigenen Tempo kritisiert er und fordert, bei Leistungsdefiziten entsprechend schneller nachzubessern.

Dass über die Rolle der Sprachkompetenzen nicht gesprochen wurde, stimmt so allerdings nicht. Die CDU-Bildungspolitikerin Sophie Ramdor fragte im Parlament nach, welche Bedeutung Sprachdefizite für das schlechte Abschneiden in den MINT-Prüfungen haben. Kultusministerin Hamburg räumte daraufhin ein, dass auch die Mathe-Tests sehr deutsch-lastig seien und Fachwissen dann nicht abgeliefert werden könnte, wenn die Aufgabenstellung nicht verstanden wird. Ramdor kritisierte daraufhin in der Aussprache, dass nicht längst seit Jahren der Fokus auf Lesen, Rechnen und Schreiben gelegt werde. Als sie vor drei Jahren erstmals im Parlament zu einer IQB-Studie gesprochen hatte, habe sie das bereits gefordert. Nach den verbindlichen Sprachtests im Jahr vor der Einschulung sollte deshalb eine verbindliche Sprachförderung folgen. Niedersachsen biete diese aber bisher nur als freiwilliges Angebot an. Statt die Sprachkompetenzen konsequent zu fördern, habe die Kultusministerin die Mehrsprachigkeit per Erlass zugelassen. Aus Ramdors Sicht ein Fehler.


