8. Dez. 2025 · 
KommentarInneres

Warum die Ausgrenzung der AfD im Landtag vor allem einer Partei hilft, nämlich der AfD

Soll ein AfD-Vertreter künftig aus dem Kontrollgremium für den Verfassungsschutz entfernt werden? Eine Mehrheit dafür steht für nächste Woche, aber das wäre ein fatales Zeichen.

Foto zeigt AfD-Parteitag
AfD-Landesparteitag in Bad Fallingbostel. | Foto: Wallbaum

Die sogenannten „etablierten Parteien“ sind gegenwärtig dabei, eine große Dummheit zu begehen – auf Bundesebene wie auch im niedersächsischen Landtag. Nur: Sie scheinen es gar nicht zu merken. Es geht um den Verfassungsschutz, der seit vielen Jahren die Aufgabe hat, die jeweiligen Regierungen und auch die Öffentlichkeit über gefährliche, extremistische und staatsfeindliche Bestrebungen aufzuklären. Da alle staatlichen Institutionen einer Kontrolle und Überprüfung des Parlaments unterliegen sollen, gilt das natürlich auch für den Verfassungsschutz. Es gibt in Bund und Ländern Kontrollgremien, in denen ausgewählte Parlamentarier über die Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes informiert werden – und ihre Ansichten und Bedenken dazu mitteilen können.

Aber was erleben wir gerade in Deutschland? Auf Bundesebene ist bisher das neunköpfige „Parlamentarische Kontrollgremium“ für die Nachrichtendienste nur zu zwei Dritteln besetzt. Die beiden Plätze, die der AfD zustehen, und der eine Platz für die Linkspartei müssen frei bleiben. Alle Kandidaten von AfD und Linken erhielten nicht die erforderliche Stimmenzahl bei der Wahl im Bundestag. Die Opposition wird durch den Vertreter der Grünen repräsentiert, das war's. In Niedersachsen gibt es bisher den „Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ mit zehn Mitgliedern. Da alle Landtagsausschüsse spiegelbildlich nach den Mehrheitsverhältnissen im Landtag besetzt werden müssen, sitzt dort auch automatisch ein AfD-Vertreter, der Fraktionsvorsitzende Klaus Wichmann. Jetzt planen SPD, CDU und Grüne aber für nächste Woche eine Verfassungsänderung. Der bisherige Ausschuss soll wegfallen und ein neues Sondergremium soll geschaffen werden, in dem nur jene Abgeordneten Platz finden sollen, die vorher im Landtag mehrheitlich gewählt worden sind – so wie es jetzt schon im Bundestag vorgesehen ist.

Es ist leicht abzuschätzen, was künftig im Landtag passieren wird: Die Kandidaten von SPD, CDU und Grünen finden die nötige Unterstützung im Parlament, der Kandidat der AfD vermutlich nicht – und er würde dann dem Kontrollgremium für den Verfassungsschutz nicht mehr angehören. Ist das ein angemessener Umgang mit dem Thema? Als Argument wird vorgetragen, dass die in diesen Gremien tätigen Abgeordneten vertrauliche Informationen erhalten und diese für sich behalten müssen, sie werden auch auf ihre Verschwiegenheit verpflichtet und dürfen nichts aus den Sitzungen nach draußen tragen. Wenn die AfD nun als Beobachtungsobjekt verstärkt ins Visier des Verfassungsschutzes gerät, wie es in den vergangenen Jahren geschehen ist, dann dürfte die Gefahr von Interessenskollisionen wachsen: Im Ausschuss erführe ein AfD-Vertreter Dinge über die Beobachtung der AfD, die er dann für sich behalten muss und dies womöglich nicht tut. Oder er bekommt Hinweise auf russische Spionageaktionen, während Teile seiner Partei gleichzeitig eine intensive Nähe zu Russland pflegen. Er könnte, heißt es, diese Kenntnisse an seine Parteifreunde weitergeben. Insgeheim wird ihm der Vertrauensbruch unterstellt, nur weil er der Vertreter der AfD ist.

Die Frage ist nun: Schwächt die bisherige Beteiligung der AfD an der parlamentarischen Kontrolltätigkeit den Verfassungsschutz, da die Gefahr des Geheimnisverrats besteht? Die Antwort lautet: Nein. Bisher schon wurde Wichmann wie alle anderen auf seine Verschwiegenheit festgelegt – und es gibt keine Hinweise, dass er sie gebrochen hat. Auf der anderen Seite hat es in den vergangenen Jahrzehnten bundesdeutscher Parlamentsgeschichte in mehreren Fraktionen immer wieder Abgeordnete gegeben, die ihre Pflichten verletzt und geheime Informationen unzulässig weitergegeben haben. Das Risiko besteht grundsätzlich immer, wenn man Geheimdienstarbeit mit parlamentarischer Kontrolle verknüpft, also Volksvertreter an dieser Aufgabe beteiligt. Auch wenn die Informationen, die in solchen Gremien mitgeteilt werden, keinen hohen Exklusivitätswert haben. Immer kann irgendetwas „durchsickern“. Die Vorstellung, dieses Risiko könne man abwenden, indem eine ungeliebte Partei wie die AfD von vornherein außen vor bleibt, ist realitätsfern. Wie häufig ist das "Loch" doch gerade da, wo man es am wenigsten vermutet hat?

Innenministerin Daniela Behrens und Verfassungsschutzpräsident Dirk Pejril stellen den Verfassungsschutzbericht für 2023 vor. | Foto: Kleinwächter

Die Ausgrenzung von AfD und Linkspartei im Bundes-Kontrollgremium wie auch die aktuellen Pläne einer Verfassungsänderung in Niedersachsen sind nicht nur übertrieben. Sie sind noch aus einem anderen Grund problematisch: Einmal mehr verletzt die politische Mehrheit ein Grundprinzip der parlamentarischen Demokratie – und schüttet damit Wasser auf die Mühlen all derer, die das politische System in der Bundesrepublik als „nicht mehr demokratisch“ bezeichnen und den Mächtigen vorwerfen, missliebige Kräfte wie die AfD bewusst ausgrenzen zu wollen. Die Demokraten sollten alles unterlassen, was als Argument für solche Behauptungen dienen könnte. Solange Linkspartei und AfD nicht verboten sind, sollten sie in den Diskurs über die Sachpolitik eingebunden werden. Ihre Abgeordneten sollten zudem die gleichen Rechte und Pflichten haben wie die Abgeordneten aller anderen Parteien. Mehr noch: Man sollte gerade ihnen ausdrücklich ihre Pflichten, auch die zur Geheimhaltung, abverlangen und sie darauf festlegen. Das würde sie zwingen, das System zu akzeptieren, das von Teilen ihrer Partei offen abgelehnt wird. Diese Gleichbehandlung aller politischen Kräfte folgt aus dem Modell der parlamentarischen Demokratie, in der die Volksvertretung der Ort des Wettstreits der besten Ideen für das Gemeinwohl ist – und bei dem alle gewählten Mandatsträger an diesem Wettstreit gleichberechtigt teilnehmen dürfen. Wird dieser Grundsatz verletzt, so kommt schnell der Verdacht auf, unliebsame Meinungen sollten unterdrückt oder die Macht der jeweils Regierenden solle vor äußeren Einflüssen geschützt werden.

Nirgendwo findet diese Mutmaßung, die „etablierten“ Parteien wollten sich die AfD als lästigen Konkurrenten vom Hals halten, mehr Nahrung als beim Thema Verfassungsschutz. Bisher schon war das Agieren der Behörde nicht gerade glücklich, die Einstufungen der AfD durch die jeweiligen Ämter werfen Fragen auf. Manchmal bekommt man den Eindruck, das Bundesamt habe sich mit einer deutlichen Distanz zur AfD reinwaschen wollen von der eigenen Vergangenheit – als die NSU-Aktivisten unerkannt blieben und später, als unter einem Präsidenten Hans-Georg Maaßen ein Rechtskonservativer die Geschicke lenkte. Schon heute heißt es aus rechtspopulistischen und rechtsradikalen Kreisen, der Verfassungsschutz diene doch nur dazu, die Macht der „Systemparteien“ gegen die wachsende politische Bedeutung der AfD zu schützen. Wie kann man solche teilweise abstrusen Thesen am glaubwürdigsten zurückweisen? Jedenfalls nicht dadurch, dass man die AfD von der Kontrolle der Geheimdienste fernhält.

Es geht noch weiter: Wenn es der Mehrheit im Parlament künftig überlassen wird, die Zusammensetzung des Kontrollgremiums für den Verfassungsschutz zu bestimmen, dann wächst auch die Missbrauchsgefahr. Stellen wir uns vor, Niedersachsen hätte irgendwann einen Innenminister von der AfD und die AfD hätte womöglich gar die absolute Mehrheit im Landtag. Wenn dann die Verfassungsschutz-Kontrolle bei der Wahl des Gremiums vornehmlich den regierungstragenden Fraktionen überlassen wird, also den AfD-Abgeordneten, dann könnten sich SPD, CDU und Grüne darüber nicht glaubwürdig beschweren. Waren sie es doch selbst, die dafür die rechtlichen Grundlagen mit der Verfassungsänderung geschaffen haben. Dieser Innenminister von der AfD hätte dann übrigens wohl auch noch die Chance, über die dann bereits verschärfte Disziplinarordnung ohne Gerichtsbeschluss gegen jene Beamte vorzugehen, die sich seinen Anweisungen gegenüber widerborstig zeigen. Rot-Grün in Niedersachsen schickt sich ja gerade an, im Disziplinarrecht die Exekutive zu stärken und die gerichtliche Einwirkung zu verringern. Ein entsprechendes Gesetz soll 2026 im Landtag beschlossen werden. Auch das ist ein sehr fragwürdiges Vorhaben.

Ein Vorschlag zur Güte: SPD, CDU und Grüne sollten ihren Antrag zur Änderung der Verfassung einstampfen und voller Stolz erklären, dass die parlamentarische Demokratie stark genug ist, auch die Mitwirkung von AfD-Politikern an der Kontrolle des Verfassungsschutzes zuzulassen. Die Stärke des Systems beruht auf Beteiligung aller politischen Kräfte am Meinungsbildungsprozess und an der parlamentarischen Arbeit, und auf der Prinzipientreue der Demokraten. Angst ist auch hier ein schlechter Ratgeber. Und im Bundestag sollten die drei Plätze für AfD und Linkspartei im Kontrollgremium für die Geheimdienste schleunigst besetzt werden. Die Politik der Ausgrenzung hat sich nämlich als Irrweg erwiesen.

Dieser Artikel erschien am 9.12.2025 in Ausgabe #219.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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