Das Kultusministerium startet nun mit der Überarbeitung des Schulgesetzes. Ministerin Julia Hamburg will dazu viele Positionen zusammenbringen – und an einigen Punkten Veränderungen vornehmen. Ein Punkt ist der „jahrgangsübergreifende Unterricht“ in den Grundschulen. Ist das die richtige Antwort auf den Geburtenrückgang gerade in einigen ländlichen Gebieten? Die Rundblick-Redaktion diskutiert darüber in einem Pro und Contra.
PRO: Der jahrgangsübergreifende Unterricht kann vor allem im ländlichen Raum praktisch sein. Er bietet aber auch inhaltlich gute Ansätze, um ein gemeinsames Lernen zum sozialen Gruppenerlebnis zu machen, in dem die Lehrkraft zwar den Rahmen steckt, die Kinder aber selbst auch mitwirken, meint Niklas Kleinwächter.
CONTRA: Jedes Kind sollte optimal gefördert werden – und dazu braucht es gute Lehrer, eine möglichst individuelle Ansprache und moderne Lehrmethoden. Mit dem jahrgangsübergreifenden Unterricht wird aber der falsche Weg beschritten, meint Klaus Wallbaum.
Der „jahrgangsübergreifende Unterricht“ in den Grundschulen mag pädagogische Vorteile haben – gerade für die kleineren Kinder. Wenn sie zusammen mit großen in bestimmten Fächern beschult werden, können diejenigen von ihnen, die schon ganz weit sind, einiges von den Älteren abgucken. Oder die Älteren lernen, wie sie Kleineren etwas beibringen – und auch das hätte ja einen Lerneffekt. Sicher, solche Entwicklungen sind möglich. Aber machen wir uns nichts vor: Tatsächlich entspringt die Idee des „jahrgangsübergreifenden Unterrichts“ einer Überlegung, dem Mangelzustand in vielen Grundschulen zu begegnen.
Stellen wir uns ein kleines Dorf in Niedersachsen vor, das fünf Kilometer vom Nachbarort entfernt liegt. Es gibt Baugebiete, eine Grundschule, eine Kirche und einen Supermarkt. Die Arztpraxis liegt auch um die Ecke. Die Grundschule ist seit jeher einzügig, bisher aber gab es immer rund 15 bis 20 Kinder je Klasse. Irgendwann kann ein Zustand eintreten, bei dem nur noch acht oder zehn Kinder eingeschult werden. Dann könnte der „jahrgangsübergreifende Unterricht“ darin bestehen, dass die Klassen eins und zwei oder drei und vier zusammen unterrichtet werden. Damit könnten die Lehrer effektiver eingesetzt werden. Das Ministerium will solche Möglichkeiten künftig erleichtern. Für dieses Konzept gibt es einen wichtigen, ganz überzeugenden Grund: Die Grundschulkinder könnten im Ort bleiben, sie müssten nicht für den Schulbesuch in eine Nachbarkommune oder eine zentrale Grundschule, die mehrere Orte betreut, gefahren werden.
Diese Ortsbezogenheit der Grundschulzeit für kleine Kinder ist verständlich, ja sie ist seit vielen Jahrzehnten geübte Praxis. Erlasse zum Erhalt von „kleinen Grundschulen“, auch jenseits einer angenommenen Mindest-Schülerzahl, gibt es seit Jahrzehnten. Allerdings besteht die Gefahr, dass bei dieser Sichtweise die lokalpolitischen Belange gegenüber den pädagogischen überwiegen. Natürlich möchten viele Eltern ihr Kind in der Nähe wissen, schon allein deshalb, weil bei Stundenausfall oder verspätetem Unterrichtsbeginn so der Aufwand für den Weg zur Schule und von der Schule nach Hause minimiert werden kann. Dieser Aspekt wird künftig aber wohl weniger relevant werden, da die festen Betreuungszeiten von fünf Stunden je Tag in den kommenden Jahren immer verbindlicher werden sollen. Der Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung in Grundschulen beinhaltet mehr als eine bloße Unterrichtsgarantie. Dort gibt es Angebote für eine sinnvolle Beschäftigung am Nachmittag, Hausaufgabenhilfe und Ähnliches.
Bei Schülermangel in ländlichen Orten kann es die bessere Alternative sein, die Grundschule im Dorf zu schließen und die Kinder mit dem Bus in eine zentrale Grundschule zu bringen. Der Vorteil läge auf der Hand: Solchen zentralen Einrichtungen gelänge es vermutlich besser, ausreichend qualifizierte Lehrer zu gewinnen, ein gutes Betreuungsangebot für den Nachmittag zu organisieren und insgesamt ein Umfeld zu schaffen, in dem es leichter möglich ist, auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder einzugehen. Ein Negativ-Szenario einer kleinen Grundschule im Dorf sähe nämlich so aus: Mit Müh‘ und Not gelänge es, einen oder zwei Lehrer zu gewinnen. Wenn beide krank werden, kommt als Ausweichlösung der „Distanzunterricht“ in Betracht – die Wissensvermittlung am Bildschirm. Auch dies kann nicht ohne Personal in der Schule organisiert werden, und so könnten pädagogisch nur schlecht ausgebildete Betreuer für die Aufsicht beim Distanzunterricht eingesetzt werden. Dass eine solche Variante das optimale Umfeld böte, den jungen Menschen Anreiz und Freude am Lernen zu vermitteln, darf bezweifelt werden.
In ihrer Angst, nach dem Arzt, dem Supermarkt, dem Bäcker und dem Fleischer noch die Grundschule vor Ort zu verlieren, könnten manche Lokalpolitiker versucht sein, den Erhalt ihrer Grundschule mit allen Mitteln zu verteidigen. Die Gefahr ist groß, dass dann das Argument des Bewahrens der dörflichen Gemeinschaft ganz überwiegend ist – und die Frage, was gut für die Kinder ist, hinten angestellt wird. Das darf nicht passieren.


